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Title: Dostojewski und das Neue Testament
Author: Jürgen SpießClick here to get further informations
Passage: Johannes 1, 46 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Johannes 20, 25 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Johannes 7, 5 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Markus 3, 21 (Markus-Evangelium, Mk.) und Johannes 1, 49 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Johannes 20, 28 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Johannes 6, 40 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Johannes 14, 6-9 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Lukas 8, 32-36 (Lukas-Evangelium, Lk.) und Johannes 12, 24 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Johannes 11, 1-46 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Matthäus 4, 1-11 (Matthäus-Evangelium, Mt.) und Johannes 2, 1-11 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Johannes 11, 25 (Johannes-Evangelium, Jh.) und Offenbarung 3, 1 (Offenbarung des Johannes) und Matthäus 3, 15 (Matthäus-Evangelium, Mt.)
Language: german (Germany, Austria, Liechtenstein, Switzerland)
Category: Magazin/Article
Date/Time: 1999
Pages: 8
ID: 35192
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Keywords: In den "Dämonen" schreibt Dostojewski: "Ich glaube, es gibt Gesichter, die jedesmal, wenn sie auftauchen, wieder etwas Neues mitbringen, etwas, das man bis dahin noch nicht an ihnen bemerkt hat, auch wenn man ihnen hundertmal begegnet ist"2. In diesem Sinne hoffe ich, daß Sie auch durch mein Referat etwas Neues an Dostojewski entdecken, das Sie bisher noch nicht entdeckt hatten.
Ich bin kein Experte, kein Slawist, obwohl ich einige Semester Russisch studiert habe, sondern nur ein Laie, ein Amateur, ein "Liebhaber" der Werke Dostojewskis. Von meiner Ausbildung her bin ich Althistoriker, halte eher Vorträge über historische Grundlagen des Neuen Testaments als über russische Literatur.
Meine Begegnung mit dem Werk Dostojewskis begann durch die Lektüre von Camus. In der Oberstufe des Gymnasiums suchte ich nach dem Sinn meines Lebens. Wofür lohnt sich der Einsatz des Lebens? Ich las damals viel von Sartre und Camus. Vor allen Dingen von Camus war ich beeindruckt, von seiner radikalen Fragestellung: Lohnt das Leben oder lohnt es sich nicht? Die Antwort im "Mythos von Sisyphus" fand ich allerdings enttäuschend.
Im Vorwort seines Dramas "Die Besessenen", einer Kurzfassung von Dostojewskis "Dämonen" stieß ich auf folgende Sätze aus dem Jahre 1959: "Lange Zeit hat man Marx für den Propheten des 20. Jahrhunderts gehalten. Heute weiß man, daß das, was er prophezeite, auf sich warten ließ, und wir erkennen, daß Dostojewski der wahre Prophet war. Er hat die Herrschaft der Großinquisitoren und den Triumph der Macht über die Gerechtigkeit vorausgesehen. Ich war 20 Jahre alt, als ich dem Werk Dostojewskis begegnete, und die Erschütterung, die mich damals ergriff, hält heute nach mehr als weiteren 20 Jahren noch an. Ich habe Dostojewski zuerst lieben gelernt, weil er mir die Geheimnisse des menschlichen Wesens enthüllte. Aber sehr schnell, in dem Maße, wie ich das Drama meiner Zeit immer grausamer erlebte, habe ich in Dostojewski den Menschen lieben gelernt, der am tiefsten unser geschichtliches Schicksal erlebt und ausgedrückt hat. Für mich ist in erster Linie Dostojewski der Schriftsteller, der lange vor Nietzsche den zeitgenössischen Nihilismus erkannte, definierte und seine ungeheuerlichen oder wahnwitzigen Folgen voraussah, und der versuchte, die Botschaft des Heils zu bestimmen. Der Mann, der geschrieben hatte: ‘Die Fragen nach Gott und nach der Unsterblichkeit sind dieselben wie die Fragen des Sozialismus, nur aus einem anderen Blickwinkel gesehen’, der wußte, daß von diesem Augenblick an unsere Zivilisation dieses Heil für alle oder für niemanden fordern würde. Aber er wußte auch, daß dieses Heil nicht allen zuteil werden konnte, wenn man darüber die Leiden auch nur eines einzigen vergaß."3
Vielen geht es beim Lesen der Werke Dostojewskis so wie Camus. Sie sind betroffen, weil sie sich in seinen Werken wiedererkennen. In Rußland traf ich einmal auf einen Übersetzer, der mir sagte: "Ich habe mich seit neun Jahren nicht mehr getraut, Dostojewski zu lesen, denn ich weiß, wenn ich ihn lese, dann geht es auch um mich." Und das hält man bekanntlich nicht immer aus.
Auf Grund dieser Gedanken von Camus habe ich dann nicht Marx, sondern das Gesamtwerk von Dostojewski gelesen - und zwar im Zug, während ich als Student zwischen Wohn- und Studienort hin- und herpendelte Bei meiner Beschäftigung mit Dostojewski hat mich in der Folgezeit sehr stark beeindruckt, wie viele der maßgeblichen Denker des 20. Jahrhunderts, vor allem im Westen Europas, von ihm beeinflußt sind. Einige Beispiele:
Die französischen Existentialisten Jean-Paul Sartre und Albert Camus. Auf die Frage: Was ist Existentialismus? schrieb Sartre: "Der Ausgangspunkt des Existentialismus besteht in einem Satz Dostojewskis: ‘Wenn Gott nicht existierte, so wäre alles erlaubt.’...In der Tat, alles ist erlaubt, wenn Gott nicht existiert, und demzufolge ist der Mensch verlassen, da er weder in sich noch außerhalb seiner eine Möglichkeit findet, sich anzuklammern...anders gesagt, es gibt keine Vorausbestimmung mehr, der Mensch ist frei, der Mensch ist Freiheit."4 Camus habe ich schon zitiert.
Die Schweizer evangelischen Theologen Karl Barth und Eduard Thurneysen: In seinem berühmten Römerbriefkommentar aus dem Jahr 1926 zitierte Karl Barth nur Luther häufiger als Dostojewski.5 Sein Freund Thurneysen schrieb sogar eine kleine Dostojewski-Monographie.6
Die österreichischen Psychotherapeuten Sigmund Freud7 und Alfred Adler schrieben Aufsätze über Dostojewski. Alfred Adler war vor allem von der Aussage Dostojewskis beeindruckt: "Man erkennt einen Menschen an seinem Lachen."8 Dostojewski charakterisiert seine Personen durch das Beschreiben ihres Lachens. Sehen Sie sich daraufhin einmal z.B. den "Idioten" an. Es gibt viele Arten menschlichen Lachen: warmes Lachen, kaltes Lachen, sein Lachen klang zerborsten, voller Haß, höhnisch, freundlich.....
Deutsche Schriftsteller wie Hermann Hesse und Thomas Mann beschäftigten sich mit ihm.
Hermann Hesse nannte ihn bereits in seinem Aufsatz "Blick ins Chaos"9 aus dem Jahre 1920 - vierzig Jahre vor Camus - den Propheten für das zwanzigste Jahrhundert, weil sich in seinem Roman "Die Brüder Karamasow" alle Typen beschrieben finden, die für dieses Jahrhundert charakteristisch werden sollten. Thomas Mann nannte seinen Aufsatz "Dostojewski- mit Maßen"10. Und so sollte man es wohl auch halten: Dostojewski - ja, aber mit Maßen, weil die Beschäftigung mit seinem Werk manchmal einem Blick ins Chaos gleicht und man diesen Blick nicht an jedem trüben Novemberabend gut aushält.
Nietzsche nannte die literarische Begegnung mit Dostojewski den Glücksfall seines Lebens und schrieb in aller Bescheidenheit: "Dostojewski ist der einzige Psychologe, von dem ich etwas gelernt habe."11 Als im Jahre 1977 die "Dämonen" für das Fernsehen verfilmt wurden, wurde Deutschland durch die Terroranschläge der RAF erschüttert. Aufgrund vieler Anrufe und Briefe mußte damals die Fernsehansagerin vor der dritten Folge versichern, daß hier nicht aus Anlaß der derzeitigen Situation in Deutschland ein Stück aus dem letzten Jahrhundert aktualisiert wurde, sondern daß alle Dialoge nach dem Original wiedergegeben würden.
Übrigens hat auch Goebbels Dostojewski zitiert. Seiner Doktorarbeit in den 20er Jahren hat er als Motto ein Zitat Dostojewskis aus den "Dämonen" vorangestellt.12
Man kann also ohne Übertreibung sagen, daß Dostojewski in ganz besonderer Weise das Denken in diesem Jahrhundert beeinflußt hat.
In einem neuen Sammelband über Dostojewski13 beginnt Ludolf Müller seinen Aufsatz über die Religion Dostojewskis mit folgenden Worten: "Die Frage nach der Religion Dostojewskis, nach seiner ethisch-religiösen Weltanschauung, ist für das Verständnis seiner Werke grundlegend. Überall in seinen großen Romanen spielt diese Frage eine entscheidende Rolle, sie alle kreisen um sie, und ohne Verständnis seines religiös-philosophischen Ansatzes kann man Sinn und Gehalt seiner Romane nicht angemessen, nicht richtig verstehen."14
In meinem Referat geht es um die Frage, welche Rolle das Neue Testament im Leben und Werk Dostojewskis spielte.
Dostojewski selbst schrieb: "Ich stamme aus einer frommen, russischen Familie. Von meiner frühesten Kindheit an erinnere ich mich der Liebe meiner Eltern. In unserer Familie kannten wir die Evangelien beinahe schon von der Wiege an."15
Eine bewußte Hinwendung zum christlichen Glauben geschah allerdings erst in seiner Zeit im Straflager, in der Katorga, in der Nähe von Omsk in Sibirien (1850-1854). Auf dem Wege dorthin wurde ihm ein Neues Testament geschenkt. Das Neue Testament war das einzige Buch, das in der Katorga erlaubt war...
1 Leicht geänderte Fassung eines Vortrags, der im Jahrbuch der...
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